Sylt kämpft gegen das Verschwinden …
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Nordseeinsel
Von Dietrich Mohaupt / Deutschlandradio Kultur
Mit dem Urlaubsvergnügen auf Sylt könnte es in ein paar Jahrzehnten vorbei sein. Heftige Stürme und Orkane lassen die Insel von Jahr zu Jahr etwas kleiner werden. Mit Baumaßnahmen und Sandaufschüttungen kämpfen die Menschen dagegen an.
Die Nordsee vor der Küste Nordfrieslands: Gewaltige Brecher rollen auf ein paar kleine Inseln und schmale Sandstreifen zu – mehr ist von der Insel Sylt nicht geblieben. Dieses Szenario ist als Modell im Erlebniszentrum Naturgewalten in List an der Sylter Nordspitze zu sehen. Die ganze Insel und das umliegende Wattenmeer reduziert auf die Größe eines übersichtlichen Schaukastens – aus einem Lautsprecher ertönt Wellenrauschen, so oder ähnlich klingt heute die Brandung an der 34 Kilometer langen Westküste von Sylt. Das Modell soll den Besuchern zeigen, was der Klimawandel – und der damit verbundene langfristige Anstieg des Meeresspiegels – für die Insel bedeuten könnte, erläutert der Geschäftsführer der Ausstellung, Matthias Strasser:
„Sylt hat ja sehr unterschiedliche Bereiche: Sehr flache Bereiche, höher gelegene Bereiche, Geestkerne, Dünen, und wir haben hier bei dem Modell drei verschiedene Stufen des Meeresspiegelanstiegs simuliert: ein Meter – und das ist ja das Szenario, was tatsächlich realistisch ist bis zum Ende des Jahrhunderts – aber auch drei Meter und fünf Meter, um dann mal am ganz konkreten Beispiel Sylt zu zeigen, wie viel und welche Bereiche von der Insel würden in dem Fall dann tatsächlich permanent unter Wasser liegen.“
Ein Druck auf den entsprechenden Knopf setzt das Szenario in Gang – zunächst Anstieg des Meeresspiegels um ein Meter, die Folgen werden schnell sichtbar.
„Wir schauen einfach mal in den Bereich Rantum-Becken und Morsum, da sind die niedrig gelegenen Marschen, die jetzt langsam schon unter Wasser geraten – ich drücke auch mal auf den Drei-Meter-Knopf, auch der Lister Bereich mit dem Ellenbogen ist längst unter Wasser. Dort würden auch die ersten Bereiche entstehen, wo die Dünenkette durchbrochen werden könnte. Und wir sehen jetzt bei der Entwicklung von drei Meter, dass der ganze Bereich Rantum / Morsum in den Marschen komplett unter Wasser ist.“
Kurz darauf ist von Sylt in seiner heutigen Form fast nichts mehr übrig – simulierter Meeresspiegelanstieg um fünf Meter, nur noch einzelne kleine Inseln ragen jetzt aus den Fluten der Nordsee heraus.
„Dann sind es tatsächlich noch die hoch gelegenen Geestbereiche, Kampen, und wir sehen auch sehr schön das Morsum Kliff, was dort als Solitärbereich übrig bleibt und die großen Dünenbereiche in List können wir auch erkennen und die entsprechenden Dünenketten bis nach Hörnum runter bleiben als schmaler Streifen erhalten.“
Eine Simulation, ein nicht ganz maßstabsgetreues Modell, das z.B. auch Deiche als Küstenschutz völlig vernachlässigt. Aber Eindruck hinterlässt die Simulation – interessiert hat ein älteres Ehepaar aus Hannover den Anstieg des Meeresspiegels beobachtet:
„Ach – man denkt schon darüber nach, welche Auswirkungen das haben kann. Wir gehen ja im Moment davon aus – was die Wissenschaftler sagen – dass der Meeresspiegel erst einmal nur um ein Meter steigt, und das würde ja eigentlich schon reichen, dass Sylt und die Küstengebiete des Festlandes doch ziemliche Probleme bekommen hinsichtlich des Küstenschutzes. Wir werden das sicherlich auch nicht mehr erleben – aber das ist ja kein Grund, jetzt nicht daran zu denken, das wäre ja total verkehrt.“
Ortswechsel – vom Modell im Erlebniszentrum Naturgewalten raus in die raue Wirklichkeit: An den Strand der Insel bei Kampen, auf Sylts höchsten „Berg“ die sogenannte Uwe-Düne. Gut 52 Meter hoch ist dieser in Jahrhunderten gewachsene Sandhaufen – ein Fernglas auf dem Gipfel sorgt für einen fantastischen Insel-Rundblick. Der kräftige Wind weht – neben jeder Menge Sand – auch die leisen Brandungsgeräusche vom Strand herauf. Ein paar hundert Meter weiter westlich endet Sylt – das war nicht immer so.
„Man hätte, wenn man jetzt nur 1000 Jahre zurück denkt, einen Fußmarsch von etwa ein bis zwei Kilometer vor sich gehabt von der heutigen Wasserkante aus.“
Die Nordsee hat sich in den vergangenen Jahrhunderten schon einiges von der Insel geholt, erläutert der Sylter Geologe Ekkehard Klatt.
„Die uns bekannten Abbrüche sind ein Meter 20 bis ein Meter 40 in den letzten 100 Jahren, also könnten wir gut davon ausgehen, dass mindestens vor 1000 Jahren die Küstenlinie eineinhalb Kilometer weiter westlich verlief.“
Intensiv befasst Ekkehard Klatt sich in seinem Buch „Sylt im Klimawandel“ mit der Geschichte der Landentwicklung an der nordfriesischen Küste. Die ist seit jeher eng mit dem Absinken und Ansteigen des Meeresspiegels verbunden. Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts steigt der Meeresspiegel mal wieder an – ganz langsam, aber unaufhaltsam. Von zwei auf drei Millimeter pro Jahr hat dieser Anstieg sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt – wenn das so weitergeht, dann geht Sylt natürlich unter, meint Ekkehard Klatt. Ein bisschen Zeit wird bis dahin aber noch vergehen – schon vor einigen Jahren hatte der Geologe mal vorsichtig hochgerechnet und so etwas wie eine Prognose für die Zukunft der Nordseeinsel gewagt.
„Ich habe von 2000 bis 3000 Jahren gesprochen, wo noch etwas oberhalb des Meeresspiegels auf einer Landkarte mit dem Wort Sylt letztendlich eingezeichnet werden könnte. Das bedeutet: der Meeresspiegelanstieg von 50 bis 60 Zentimeter – das ist der Klimazuschlag, der auf die Deiche drauf gebaut wird – 50 Zentimeter bis zum Jahr 2100, sage ich jetzt mal ganz platt, das ist es nicht, was Sylt bedroht – auf gar keinen Fall.“
Auf Stürme und Orkane kommt es an
So richtig bedrohlich wird es also für Sylt bis zum Ende des Jahrhunderts nicht – auch bei einem prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels um gut einen halben Meter. Das ist ein ganz wesentliches Fazit, das Ekkehard Klatt in seinem Buch über „Sylt im Klimawandel“ zieht. Für den Geologen steht eindeutig fest, was die Zukunft der Nordseeinsel am stärksten beeinflussen wird.
„Nicht der Meeresspiegelanstieg, sondern die Extremereignisse, wo die Millionen und Milliarden Kubikmeter an Sand bewegt werden. Stürme und Orkane sind das Salz in der Suppe – macht den Reiz Sylts auf jeden Fall aus, durch seine exponierte Lage.“
Stürme und Orkane – auch für den Klimaforscher Mojib Latif vom Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung sind sie, neben dem Anstieg des Meeresspiegels, die entscheidenden Faktoren des Klimawandels. Konkrete Aussagen zu Häufigkeit und Intensität sind aber nicht leicht zu treffen, betont er.
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Quelle: DRadio Kultur