Musik lag in der Luft in Rendsburg, Norddeutschland, weit entfernt von den Alpen…
Vorweg: Der Abend endete mit tosendem Applaus, standing ovations, Begeisterung und respektvoller Anerkennung gegenüber einem gestandenen 80jährigen Mann, wie aus südtiroler Urgestein.
Das Sonntags-Programm des Schleswig-Holstein Musik Festival vom 3.August 2024 in Rendsburg, eine Musik, die der Laie wohl eher selten zu Ohren bekommt.
Sergei Prokofieff: Suite aus der Oper »Die Liebe zu den drei Orangen« op. 33
Richard Strauss: »Eine Alpensinfonie« op. 64
Wie eine monumentale Ton-Malerei wirkt von Richard Strauss »Eine Alpensinfonie«: Das Werk schildert musikalisch effektvoll die 22 Stationen seiner (Richard Strauss) Bergwanderung auf den Gipfel des Heimgartens und wieder hinab ins Tal aus dem Jahr 1879.
Beim SHMF wurde die Aufführung von Strauss’ hochromantischem Meisterwerk zu einem wahren Gipfeltreffen:
Auf der einen Seite Extrembergsteiger und Abenteurer Reinhold Messner, der das Konzert mit eigenen Texten über seine Bergtouren begleitete und das Publikum anlässlich seines 80. Geburtstages nun auf ganz besondere Weise daran teilhaben lies.
»Eine Alpensinfonie« ist typisch für die musikalische Kategorie der Programmmusik.
Die diesbezügliche Musik von Richard Strauss soll die folgenden Wegetappen visualisieren: Nacht – Sonnenaufgang – Der Anstieg – Eintritt in den Wald – Wanderung neben dem Bache – Am Wasserfall – Erscheinung – Auf blumigen Wiesen – Auf der Alm – Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen – Auf dem Gletscher – Gefahrvolle Augenblicke – Auf dem Gipfel – Vision – Nebel steigen auf – Die Sonne verdüstert sich allmählich – Elegie – Stille vor dem Sturm – Gewitter und Sturm, Abstieg – Sonnenuntergang – Ausklang – Nacht.
Der von Strauss beschriebene Wanderweg, der von der Nacht auf den Gipfel und wieder zurück führt, lässt sich gleichsam als sinfonische Darstellung eines menschlichen Lebens betrachten.
Reinhold Messner dazu befragt: er bezieht sich in seiner Lesung auf eigene Erfahrungen und erweitert seine Erlebnisse um philosophische Überlegungen. Das Projekt gab es bereits und wurde während der Corona-Pandemie mit dem DSO Berlin entwickelt. Aufgrund Messners Strahlkraft und seines internationalen Engagements passt das Projekt auch gut zum Festivalorchester.
Der Südtiroler hat auf seinen Expeditionen alle 14 Achttausender und zahlreiche weitere Gipfel – teilweise im Alleingang – bestiegen und in der unberührten alpinen Natur die atemberaubende Schönheit, aber auch schon so manch existenzielle Situation erlebt.
Reinhold Messner live aus seiner Lesung zwischen Passagen »der Alpensinfonie« vor ausverkaufter Thomannhalle in Rendsburg zitiert:
„Das Können ist das Maß des Dürfens“, …sonst riskiere ich mein Leben.
(insbesondere wohl bei der Planung einer Bergtour)
Der Berg ist absichtslos… Berge können keine Fehler machen…
Musik: Mit dem Läuten von Kuhglocken mag eine liebliche Wiese vor dem inneren Auge des Publikums entstehen. Harmonie, Blumen, Gras, Kühe, Schmetterlinge, Vogelgezwitscher, blauer Himmel.
„Über den Almen aufmerksam sein“ „überall Todesgefahr“
„Auf dem Gipfel: über uns ist nichts, von oben wird die Welt größer (und wir können uns einordnen)“
„wir schauen in das Erhabene, Hölderlin würde sagen in das Göttliche.“
„Kommt der Abstieg, es kommt darauf an äußerst vorsichtig zu sein“
„Nicht an eine gelungene Bergtour denken, dafür ist es zu spät.“
„Gelingendes Leben im hier und jetzt und das schenkt uns Glück.“
Über einen überstandenen Schneesturm:
„Ein Schneesturm 5 Uhr früh riss die Zeltplane fort… blies Schneegieß ins Gesicht. Aufbruch“ … So kamen wir in den Windschatten und zurück ins Leben.“
„Bergsteigen ist weder notwendig noch nützlich. Angesichts der Todesgefahr sogar absurd. Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit, Nützlichkeit. Mein Sinn fällt nicht vom Himmel. Meine Besteigung, meine Sache zu betreiben. Und jeder von uns hat das Recht seine Sache zu betreiben.“
Die Geigen liessen das Pfeifen des Sturmes durch die Zuhörer fahren, der Wind pfiff in nie gehörter Weise, der Dirigent und die Geiger gaben alles, um das Publikum akustisch mitzureißen, der Wind steigerte sich zum Sturm, zu Donnergrollen, noch mehr stürmischen Winden, hui, hui, hui, mir fröstelte.“
Wieder Messner:“Glück können wir Menschen weder erhaschen noch erjagen. Glück passiert, wenn wir ganz bei der Sache sind.“
„Nach dem Abstieg empfand er das Glück, das ganze Leben wieder vor sich zu haben.“
Musik: der Klang der Kirchenorgel?
„Zurück in der Sicherheit fällt er in den Schlaf. In mir ist Frieden, am Berg ist Frieden.“
Musik: Harmonische, melodische Klänge zur Nacht
„Wenn der Berg absichtslos und so viel größer ist, können wir uns einordnen.“
„Wenigstens eine Bergtour lang.“ (in die Menschheitsgeschichte, unser Dasein)
Reinhold Messner machte einen Eindruck: gelassen, konzentriert, sprach frei, schaute ins Publikum und kaum auf seine Notizen, war laut & deutlich, präsent, in sich ruhend.
Auf der anderen Seite das Schleswig-Holstein Festival Orchestra,
das sich auch in diesem Jahr wieder aus 120 jungen Spitzenmusikerinnen und -musikern zusammensetzt, die sich in weltweiten Probespielen qualifizieren konnten. Am Pult stand der Dirigent Andris Poga, der das SHMF-Orchester zuletzt 2021 leitete. Über die gemeinsame Aufführung von Tschaikowskys fünfter Sinfonie schrieb das Hamburger Abendblatt damals: »Es bleibt die Frage, ob man die viel gespielte Sinfonie schon jemals so schön gehört hat. Und die Hoffnung, dass es Wunder tatsächlich immer wieder gibt!«
Auch am Abend des 4.August in der Thormann-Industrie-Halle glänzte der Dirigent durch entschlossenes Dirigieren und das Orchester folgte ohne Abstriche…
Texte: Marion Ammann, Fotografie: Karl-Heinz Hänel, Infos/ Quelle: Presse SHMF