Italien, Piemont, alle 5 Jahre Karneval im Varaita-Tal
Die Fotos sind von 2012. Die nächte Baio ist 2027. Die Baio entstand zwischen den Jahren 975 und 980 und ist seitdem ein alle 5 Jahre wieder stattfindendes traditionelles Fest im Valle der Gemeinde Sampeyre, Valle Varaita in der Provinz Cuneo, Piemont, Italien. Es liegt traditionell zwischen der letzten Woche des Januar und Anfang Februar.
Die gut 1.000 Einwohner sind dann alle auf den Beinen, Trachten und Masken treten zum Vorschein, tanzend und im okzitanischen Dialekt singend geht es durch den ganzen Ort, um somit an die Vertreibung der Sarazenen zu erinnern, die im Mittelalter hier herrschten.
Es wird gefeiert, getrunken, gegessen, was das Zeig hält. Wer am 12. /13. Februar dabei sein möchte, mehr dazu hier und auch hier
La baio de Sampeyre, alle 5 Jahre wieder ein bunter Trachtenzauber
Am 6. Januar mussten jeweils 4 junge Männer aus den kleinen Ortsteilen von Sampeyre vor das Haus des Abà (alleroberster Karnevals- Hauptmann, früher auch Dorfanführer) ziehen und dort oft stundenlang „Baiò,Baiò“ brüllen, um den Karneval zu fordern. Denn erst wenn der Abà sich erweichen lässt und eine Fahne heraushängt, findet die Baiò statt.
Also theoretisch ist bis zu diesem Zeitpunkt die Ausrichtung des Karnevals nicht sicher. Diese Tradition geht darauf zurück, dass damals der Abà den Karneval bezahlen musste, und nur wenn er genügend Geld zusammen hatte, konnte die Baiò stattfinden, mehr dazu hier und auch hier, um einen akustischen Eindruck zu erhalten, als YouTube – Video
Die Baìe
des Varaita-Tals (von Sampeyre, Bellino und Frassino) sind rituelle Feste, die während der Karnevalszeit stattfinden und auf die mittelalterlichen „abbadie“ zurückgehen. Dieser Begriff umfasste sowohl die Gesellschaften von Jugendlichen, deren Oberhäupter abà
genannt wurden (ein der klösterlichen Sprache entliehener Begriff, von „abati“=
„Abt“) als auch die Feste, die sie organisierten.
Besonders berühmt ist die Baia von Sampeyre, die alle fünf Jahre stattfindet und an der hunderte von Männern unter großer Begeisterung der Bevölkerung teilnehmen. Die Kostüme, der Verlauf des Umzugs und große Teile der Zeremonie werden von der Tradition festgelegt und es bleibt nur wenig Raum für die mittelalterliche Improvisation.
Von den verschiedenen Bedeutungen ist das Nachspielen des historischen Ereignisses der
Sarazenenvertreibung aus dem Tal die offensichtlichste. Sie erfolgte vor gut einem Jahrtausend durch einige vereinte Heere der Bergbewohner.
An der Darstellung nehmen vier Baìe teil: der Hauptort Sampeyre ( Piassa ),
Calchesio ( lo Chuchéis), Rore ( Rore) und Villar ( lo Vila‘). Jede einzelne präsentiert sich wie ein feierndes Heer mit einem Oberkommando, dem sich weitere Figuren anschließen, wie I Espous oder lou Viéi und la Vièia, die zwar nicht am Kampf teilgenommen haben, aber dennoch die Wiedererlangung der Freiheit feiern. Zu den seltsamsten Figuren zählen
i Mòrou und i Turc , die es nur bei der Baìa des Hauptortes gibt.
Laut Überlieferung sind sie die Gefangenen der Sarazenen, die von den Milizen der Talbewohner befreit wurden. Laut einer anderen Meinung sind i Turc jedoch die gefangen genommenen Sarazenen selbst.
Die Figuren in Kurzfassung
Cavalìe (Ritter)
Es gibt sie nur in der Baia von Piassa und Chuchèis. Sie stellen die berittene Miliz des Heeres der Talbewohner dar, das die Invasoren vertrieben hat. In Chuchèis tragen sie grüne Uniformen, in Piassa schwarze.
Tambourin majour (Tambourmajor)
Es gibt sie nur in der Baìa von Chuchèis und lo Vila‘; sie eröffnen die Umzüge und bewegen im Rhythmus einen langen Stab.
Serazine (Sarazeninnen)
Eigentlich handelt es sich um Mädchen; sie werden aber alle von Jungen gespielt. Sie wedeln ununterbrochen mit weißen Taschentüchern, um die örtlichen Milizen über die Bewegungen der Sarazenen zu informieren.
Senhourine oder Cantinere in lo Vila‘ (Fräuleins)
Die Invasoren waren bekanntlich keine Gentlemen und die jungen Mädchen des Dorfes waren einem erheblichen Risiko ausgesetzt. Nachdem die Gefahr gebannt ist, können sie wieder in der Öffentlichkeit flanieren.
Tambourin (Trommler mit kleiner Trommel)
Sie rufen mit Trommeln den Umzug zusammen und begleiten ihn.
La timbalo (Trommler mit großer Trommel)
Er spielt die große Trommel und ist nur auf der Baia´von lo Vila‘ vertreten
Sapeur (Holzfäller)
Eine weitere militärische Einheit der Talbewohner; die Sapeur, die in allen vier Umzügen vertreten sind, zerschlagen während der Umzüge mit Axthieben die Barrieren, die die Invasoren laut Überlieferung auf der Flucht hinterlassen haben.
Grec (Griechen)
Laut Überlieferung stellen sie die Gefangenen der Sarazenen dar, die von den Talmilizen befreit wurden und mit denen sie die wieder gewonnene Freiheit feiern. Sie rauchen merkwürdig aussehende Pfeifen.
Escarlinìe (Klingler)
Soldaten der Infanterie, die ihre Knüppel festlich mit escarlins (Glöckchen) geschmückt haben.
Espous (Brautleute)
Die feiernden Brautpaare sind Rollen, die gern gespielt werden, weil sie während der Pausen des Umzugs oft dazu aufgerufen werden, zur traditionellen Musik zu tanzen.
Senhouri (Herren)
Die Reichen des Orts, die keine Angst mehr haben, ausgeraubt zu werden Sounadour
(Musikanten), Tragende Säule der Baia, sie erfreuen den Umzug und die Tanzveran-staltungen den ganzen Tag… und die ganze Nacht. Die Instrumente sind die Ziehhar-monika, das diatonische Akkordeon oder Semiton, die Geige und die Klarinette.
Alum (Oberkommando)
Die militärischen Oberkommandierenden, acht für jede Baia und in strenger hierarchischer
Ordnung. Am Ende der Veranstaltung treten lou Segretari und lou Tezourie ab und es werden zwei neue Alum aus den Mitgliedern des Umzugs gewählt. Fünf Jahre später bekleiden sie den untersten Rang, den des Tenent. Sie tragen napoleonische Feluken und sind mit Schwertern bewaffnet
Die Tenent oder Sout-portabandiero (Oberleutnant oder Vize-Fahnenträger)
Sie sind die Neulinge des Oberkommandos; sie haben die Ehre, die glorreiche Fahne der
Baia zu tragen und am Ende des Fests sind sie bereit, zur höchsten Macht aufzusteigen, den Abà, unangefochtene Oberbefehlshabeder Baia, die Oberhäupter der Bevölkerung, die den Aufstand gegen die Sarazenen anführen.
Während der Baia und sogar schon davor haben die Abà in Sampeyre beachtliches Ansehen gewonnen und genossen den Respekt aller. Sie tragen die Verantwortung für das ganze Fest; einst trugen sie oft aus eigener Tasche zu den Kosten bei, und manchmal mussten sie dafür sogar eine Kuh verkaufen. Nur im Hauptort ist einer der beiden eine Art
primus inter pares und übt das Amt des Abà Majour aus. Auf seiner Feluke trägt er nicht das „A“, sondern ein „M“.
Segretari (Sekretär) und Tezourìe (Schatzmeister)
Sie sind die letzten beiden Alum, die ganz bestimmte, schwere Aufgaben übernehmen. Der Sekretär verwahrt das jahrhundertealte Register des Fests; der andere lässt sich in Versuchung führen und klaut einen Teil des Schatzes…
Gegen den Tezourìe (und seinen Komplizen lou Segretari)
wird am Gründonnerstag ein Prozess inszeniert, ein genüsslicher Moment kollektiver Selbstkritik der ganzen Gemeinschaft…. Die Rolle des Tezourìe ist nicht einfach zu spielen : Man muss ein guter Schauspieler sein und darf keine Angst vor einer „Szene“ haben.
Uzouart (Husaren)
Die Leibwache des Oberkommandos sind die Uzouart. Sie tragen Schwerter und Gewehre und ihre sehr ausgefallene Kopfbedeckung ist eine Art Bischofsmütze, die vollständig mit zu kleinen Kokarden gerollten Bändern bedeckt ist. Außerdem ist sie mit einem kleinen Spiegel, Perlen und langen bindels (Bändern) verziert, die in großer Anzahl über den Rücken herab hängen. Der Hut und das Kostüm der Uzouart kommen auch als Figuren in Frühlingsfesten im Alpenraum vor.
Granatìe (Grenadier)
Er kommt nur in der Baia von lo Vila vor und ist mit der Exekution des Schatzmeisters,
lou Tezourìe, beauftragt, der als einziger nicht begnadigt wird.
Morou (Mauren)
Sie sind lustige Figuren, die nur im Umzug des Hauptorts vorkommen. Sie haben schwarz gefärbte Gesichter und führen einen Esel mit sich.
Turc (Türken)
Auch sie gibt es nur in Sampeyre; sie tragen den Fez wie die Mauren, aber im Gegensatz zu diesen reisen sie paarweise, immer zu zweit an den Füßen aneinander gekettet
Cantinìe (Kellermeister)
Sie sind die Truppen für den Proviantnachschub. Sie versorgen den Umzug mit gutem Wein und laufen hin und her, bewaffnet mit… Flaschen, die selbstverständlich mit bindels, den kostbaren Bändern aus bunter Seide, verziert sind.
Arlequin (Harlekine)
Sie sind die Ordnungshüter; sie sorgen dafür, dass die Zuschauer den Umzug nicht stören. Dazu wedeln sie mit ihren Eichhörnchenschwänzen und toten Mäusen ( heutzutage mit künstlichen), um die Leute zurückzutreiben. Sie sind grotesk gekleidet und sie tragen Schneckenhäuser an ihren mit bunten Flicken verzierten Hüten.
Lou Viei e la Vieio (der Alte und die Alte)
Sie beschließen den Umzug und haben eine symbolische Bedeutung: Sie sind nicht nur zwei alte Menschen, die feiern wie die Jugend, sondern sie stellen auch die Baia dar, die endet, und das Ende des Winters.
Eine Kuriosität: Seit ewigen Zeiten nehmen die Frauen nicht an der Baìa
teil und alle Rollen, auch die weiblichen, werden von Männern gespielt. Den Frauen ist die anstrengende Aufgabe übertragen worden, die Kostüme zu schneidern und sie mit den alten und bunt gemusterten Seidenbändern zu verzieren.
(Schreibweise für die okzitanischen Begriffe: Klassisch und Escòlo dou Po.)
Die Texte sind der vom Comitato Baìo im Jahr 2007 veröffentlichten Broschüre entnommen.
Mehr über das Piemont