Oldenburger Be-Senf-tigung
„1970 zermahlte ich meine ersten Senfkörner“, erinnert sich Detlev Grunwald. Eine Kaffeemühle, die der Senfmüller damals für diese Experimente verwendet hatte, steht heute im Verkaufsraum der Senfonie im niedersächsischen Oldenburg.
Die Senfonie ist ein Herstellungsbetrieb für Feinkost- und Senfprodukte. Bärbel Grunwald verkauft im dazugehörenden Laden die Produkte ihres Mannes. Ein Klassiker im senfonischen-Repertoire ist der „Freesen Mustert“.
Sämtliche Zutaten von diesem „Friesen Mostrich“ sind auf dem Etikett penibel aufgelistet: hellilges Sempmehl, duster Sempmehl, Wienetig, Woter, Peper, Solt, Kapern, Sardellen. Sogar das „Holtbaarkeetsdatum“ haben die Senfoniker auf den Tag genau dort angegeben.
„Die Gewerbeaufsicht hat von uns verlangt, dass wir diese Inhaltsangabe in Schriftdeutsch übersetzen sollen. Dabei hat bislang jeder Kunde verstanden, was in dieser Senf-Spezialität enthalten ist“, garantiert Bärbel Grunwald.
Für Kunden, die nicht aus dem plattdeutschen Sprachraum nach Oldenburg kommen, übersetzt sie gerne die Zutaten-Auflistung: „Helles und dunkles Senfmehl, Weinessig, Wasser, Pfeffer, Salz, Kapern und Sardellen.“
Aber sofort anschließend garantiert Bärbel Grunwald augenzwinkernd: „Den plattdeutschen Dialekt wird mein Mann auch in Zukunft als würzende Beigabe für unsere regionaltypischen Produkte verwenden.“
Detlev Grunwald mahlt die Senfkörner heute nicht mehr mit der Hand, sondern mit einer elektrisch betriebenen Steinmühle – und zwar besonders langsam, damit nur kein Tropfen von dem wertvollen Senföl verloren geht.
„Überzeugen Sie sich selbst. Das hier ist zum Beispiel fein gemahlener Dijon-Senf“, erklärt er den Besuchern seines kleinen Mühlenbetriebs.
Anschließend präsentiert er ein grobkörniges Granulat, wie er es für seine Spezialitäten niemals verwenden würde. „So sieht ein industriell gefertigtes Massenprodukt aus. Diese Senfkörner sind nicht gemahlen, sondern zu groben Stückchen zerbrochen worden.“
Vor dem Mahlen achtet Detlev Grunwald auch auf die Herkunft seiner Rohstoffe. „Einst wurden die meisten Senfkörner in Frankreich geerntet. Heute deckt Kanada 80 Prozent des Weltbedarfs – und zwar mit verheerenden Folgen. Dort werden riesige Felder vom Flugzeug aus mit Chemikalien besprüht, die lassen sich anschließend immer noch in unseren Senftöpfen nachweisen.“
Deshalb kauft Detlev Grunwald seine Rohstoffe bei einem Händler, der die Senfkörner nur aus Israel oder Indien bezieht. „Demnächst werden wir auch qualitativ hochwertige Senfkörner aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien bekommen. Aber in diesen Ländern gibt es bislang noch kein einheitliches Bio-Zertifikat.“
Das klingt, als wäre Detlev Grunwald ein Global Player. Beliefert seineSenfmühle auch Kunden, die nicht in seinen Oldenburger Laden kommen können? – „Ich stehe mit unserem Verkaufswagen regelmäßig auf einem Wochenmarkt in Bremen. Außerdem besuchen meine Frau und ich einige Traditions- und Handwerker-Märkten in ganz Norddeutschland.“
Aber das Versandgeschäft ist für ein Produkt wie den klassisch gemahlenen Senf kein geeigneter Vertriebsweg. Detlev Grunwald bemüht sich auch überhaupt nicht, seinen Kunden den Geschmack seiner Senf-Creationen zu beschreiben. Er lässt sie lieber probieren, probieren, probieren.
„Auf dem Wochenmarkt kommen zu mir Stammkunden, bei denen liegt im Handschuhfach ein Teelöffel. Die kaufen einen Senf, den sie vorher nicht kannten, und löffeln das Glas auf der Heimfahrt leer. Anschließend rufen sie mich in Oldenburg an und fragen, ob ich ihnen für die kommende Woche davon zwei Gläser reservieren kann.“
Im Gegensatz zu Großbetrieben, die ihren Senf am Fließband produzieren und verpacken, kann Detlev Grunwald auch Sonderwünsche erfüllen. „Viele meiner Kunden haben sich an die scharfen Gewürze der asiatischen Küche gewöhnt und fragen mich nach immer neuen Geschmacksnervenkitzlern.“
Für diese Zielgruppe komponierte der Oldenburger aus Senfkörnern, Knoblauch, Chilli und Ingwer seine „Senfonie Oriental“. Ein TV-Journalist bot diesen „Höllensenf“ einmal vor laufender Kamera den Passanten in einer Fußgängerzone an.
„Drei bayrische Naturburschen verwechselten diese Rezeptur mit Weißwurst-Senf. Deshalb gönnten sie sich davon mehr als nur eine Löffelspitze – und zwar mit durchschlagendem Erfolg“, erinnert sich der Senfmüller und kann sich eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen.
„Ich warne meine Kunden immer ausdrücklich vor Senfsorten, die ihnen das Wasser in die Augen treiben könnte. Ich selbst bin überhaupt kein Freund von einer derartigen Augenwäsche.“ Detlev Grunwald bevorzugt Rezepturen, „die meine Geschmacksnerven be-senf-tigen.“
Aber ein bisschen deftig, kräftig darf es doch auch mal schmecken? Schließlich bezeichnet Oldenburg sich als die „Kohltourhauptstadt“.
Dieser Städte-Beiname bezieht sich darauf, dass während der Grünkohl-Zeit – also zwischen dem ersten Herbstfrost und dem Beginn des Spargel-Frühling – kleine Gruppen durch das Oldenburger Land zu den Gasthöfen wandern, um dort Kohl und Pinkel zu genießen.
Pinkel ist eine geräucherte, grobkörnige Grützwurst. Und zwischen dem Teutoburger Wald und entlang der niederländischen Grenze bis hinauf zu den nordfriesischen Inseln weiß jeder Gourmet: Diese Grütze wird aus Hafer oder Gerste gewonnen.
Weitere Pinkel-Zutaten sind Speck, Rindertalg, Zwiebeln, Schweineschmalz, Pfeffer und Salz. Die Gewürze bleiben das Betriebsgeheimnis des jeweiligen Metzgers. – Und welchen Senf reicht man zum Pinkel? Detlev Grunwald hat eigens dafür einen „Oldenburger Pinkel-Mostrich“ kreiert. Neben Senfmehl und Branntweinessig verwendet er dafür Wasser, Zucker, Salz und … „die Kräuter und Gewürze bleiben geheim.“
Und dieses Geheimrezept verraten Bärbel und Detlev Grunwald nicht einmal jenen Feinschmeckern, die der plattdeutschen Sprache mächtig sind.
Die Oldenburger Senf-Spezialitäten kommen aus der senfonie.eu
Infos für Oldenburg-Besucher: oldenburg-tourist.de & kohltourhauptstadt.de
Text & Fotos: Winfried Dulisch