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„Werbung” ( Witziger Weise ist dies mein 2999zigster Blogbeitrag )
Kölner Kongress 2018 – Erzählen in den Medien = Unkreatives Schreiben – warum?
Im 21. Jahrhundert haben Technologie und Internet die Bedingungen für Literatur neu geschaffen. Sie erfordern erweiterte Definitionen und Ideen für das, was man bislang Kreatives Schreiben nannte.
Dichter und Hochschullehrer Kenneth Goldsmith, Autor von „Uncreative Writing“, schlägt neue Verfahren vor.
Zum nachhören im Deutschlandfunk-Radio
Hier der im Sinne von Kenneth Goldsmith geklaute Text des Gesprächst in deutsch:
Kenneth Goldsmith, geboren 1961 in Freeport, Long Island, ist Konzeptkünstler, Dichter und Literaturwissenschaftler. Er lehrt an der University of Pennsylvania „Uncreative writing“ und „Interventionist writing“ und erregte international Aufmerksamkeit durch sein Kunstprojekt „Printing out the internet“ und seine revolutionäre Poetik.
2017 erschien sein Buch unter dem Titel „Uncreative Writing – Sprachmanagement im digitalen Zeitalter“ bei Matthes & Seitz Berlin auf Deutsch.
Am Freitag, dem 1. September 2000, begann der US-amerikanische Konzeptkünstler Kenneth Goldsmith die Zeitung abzutippen. Er transkribierte jeden einzelnen Buchstaben, jedes Wort von der oberen linken Ecke bis zur unteren rechten, Seite für Seite. Die fertige Abschrift veröffentlichte Goldsmith im Jahr 2003 unter dem Titel Day, also „Tag“. 836 Seiten sind es geworden.
Für sein Buchprojekt Seven American Deaths and Disasters von 2013 transkribierte Goldsmith „Sieben amerikanische Todesfälle und Katastrophen“. Er verschriftlichte Radioberichte über tragische Ereignisse der jüngeren US-amerikanischen Geschichte, über das Attentat auf John F. Kennedy etwa, über die Anschläge auf das World Trade Center oder über den Tod von Michael Jackson.
Abschreiben klingt erst einmal ziemlich simpel. Kenneth Goldsmith aber wurde durch Abschreiben zum ersten jemals ernannten Hausdichter des renommierten New Yorker Museum of Modern Art. Michelle und Barack Obama empfingen Goldsmith als Vertreter der amerikanischen Lyrik im Weißen Haus. Für die First Lady veranstaltete der Autor sogar einen eigenen Schreib-Workshop.
In den USA generiert Goldsmith eine unglaubliche Aufmerksamkeit und hat sich längst als zeitgenössischer Künstler von Bedeutung etabliert. In Deutschland dagegen ist der Schriftsteller allenfalls Fachkreisen und der Lyrikszene bekannt. Das mag auch daran liegen, dass keines seiner literarischen Konzeptstücke ins Deutsche übertragen wurde. Die Bücher jedoch gelten ohnehin als nahezu unlesbar. Es ist die dahinterstehende Poetik, mit der Goldsmith immer wieder Diskussionen provoziert.
Kopieren, Appropriieren und Plagiieren als literarisches Konzept
In seinem Essayband Uncreative Writing, dem einzigen Werk, das auch auf Deutsch vorliegt, expliziert Goldsmith 2011 die ästhetischen Grundzüge seiner Schreibpraxis. Hier erhebt er das Kopieren, Appropriieren und Plagiieren zum literarischen Konzept. In seinem formalistischen Ansatz ist das Wort weniger Träger semantischer Bedeutung als materielles Objekt. Seine Texte seien demnach nicht ausschließlich dafür geschrieben, gelesen zu werden. Man sollte sie auch teilen, bewegen und manipulieren. Zweckentfremdung und Missverständnisse gehören zum Wesen digitaler Sprache, sagt Goldsmith.
Sein unkreatives Schreiben feiert die Freiheit des Internets, es sagt das Ende von Geniekult, Plagiatsvorwürfen und von geistigem Eigentum voraus. Entsprechend gründete der Autor bereits 1996 das Online-Archiv Ubu Web. Avantgardistische Kunstwerke aller Art werden hier gesammelt und kostenfrei zur Verfügung gestellt. Das Einverständnis der Künstler holt Goldsmith dafür nicht ein. Urheberrecht existiert für ihn im Internet-Zeitalter nicht mehr.
Seine Praktiken und Projekte sind nicht immer unumstritten. Einigen Widerstand erfuhr ein politisches Gedicht, das Goldsmith im März 2015 im Rahmen einer Konferenz an der Brown University in Providence vortrug. Unter dem Titel „The Body of Michael Brown“ hatte Goldsmith den offiziellen Autopsiebericht des afroamerikanischen Jugendlichen Michael Brown abgeschrieben. Ein Jahr zuvor war der unbewaffnete Brown bei einer Polizeikontrolle in Ferguson erschossen worden. Goldsmiths Gedicht bestand aus einer neu geordneten und leicht veränderten Version des ursprünglichen Autopsieberichts. Als unangemessene Aneignung kritisierten Gegner das Gedicht. Goldsmith jedoch hält bis heute an seiner Poetik fest.
Zeitverschwendung im Internet als Unterrichtsfach
Als Professor für Literatur an der University of Pennsylvania gibt Kenneth Goldsmith seine Überlegungen auch an Studierende weiter. Aufsehen und Amüsement erregte sein Seminar „Wasting time on the Internet“. Hier sollte Zeitverschwendung im Internet unterrichtet werden. Durch mehrere Länder tourte Goldsmith mit diesem Konzept und veröffentlichte es 2016 unter demselben Titel als Essayband.
Am 3. März 2018 sprach Kenneth Goldsmith per skype auf dem Kölner Kongress über seine Ästhetik, seine Überzeugungen und die Aktualität seines Internet‑euphorischen Ansatzes. Weiterlesen auf der Website im Deutschlandfunk-Radio