Der Winzer von der Abraumhalde – vom Bergbau zum Weinbau

Weinbau am Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel
Heike Puhlfürß Weinbau am Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel

Lars Reifert`s Wein vom „Goldenen Steiger“

Text Karl-Hugo Dierichs: Lars Reifert`s Wein vom „Goldenen Steiger“ erinnert an 300 Jahre Bergbautradition. Die grauen Zechenhalden im Ruhrgebiet verwandeln sich in grüne Zonen und Kunststationen. Ein Winzer aus Sachsen-Anhalt wählt einen anderen Weg, pflanzt auf einer Abraumhalde Reben an. Mit Erfolg. Wo früher Braunkohle für das Industrierevier um Leuna und Merseburg gefördert wurde, wächst heute Wein. 100 Meter über dem Geiseltalsee schenkt Lars Reifert (50) in seiner Straußenwirtschaft Weine aus eigenem Anbau der Lage „Goldener Steiger“ aus.

Die Weißen und Roten, Riesling, Silvaner, Traminer, Kerner, Burgunder, Gutedel, Dornfelder, Solaris und Müller Thurgau, erinnern mit Namen wie „Goldener Steiger“ und „Schwarzes Gold“ an über 300 Jahre Bergbautradition.

1993 war Schicht im Schacht, endete der Abbau im Geiseltal, mit 1,4 Milliarden Tonnen Braunkohle eines der größten und ergiebigsten Fördergebiete Mitteldeutschlands. Aus dem gefluteten Gelände entstand der Geiseltalsee, sieben Kilometer lang und 3,5 km breit, mit 19 qkm Deutschlands größter künstlicher See und eine touristische Attraktion weit über die Grenzen der Weinbauregion Saale-Unstrut hinaus.

Ein 28 km langer Rundweg erschließt den See für Wanderer, Radfahrer, Wassersportler und Angler. Es gibt mehrere Badestrände, Bootsverleih, Segelschule, Campingplatz und Anleger für das Ausflugsschiff „Felix“. Es lädt zu Linien- und Charterfahrten ein. Erstmals in dieser Saison führt auf der Brücke eine Kapitänin das Kommando. Antje Tribulowski (26) unterstützt Vater Thomas und zwei weitere Kollegen.

Der Geiseltalsee liegt im Naturschutzgebiet mit seltenen Pflanzen und Tieren. Orchideen, Gräser, Moose und mehr als 200 Vogelarten sind inzwischen heimisch geworden. Die weißen Häuser der Marina Mücheln verbreiten mediterranes Flair. Unter den großen Sonnenschirmen des Lokals „Pier 5“ wird hauchdünner Flammkuchen als Entree serviert. Am Ufer schaukeln schwimmende Häuser. Eine 190 Meter lange Seebrücke ziert den Yachthafen von Braunsbedra mit 165 Liegeplätzen.

Der „Geiseltal-Express“, ein Bähnchen, fährt von April bis Oktober auf die Weinberghalde. Viele ehemalige Kumpel steigen ein, verfolgen von oben den Wandel der Landschaft, die Jahrzehntelang ihre Arbeitsstätte war. Nun genießen sie die saubere Luft und die Stille. Früher fraßen sich die Abbaubagger in den Stein, wurde die Kohle rund um die Uhr in Güterzügen ins sächsische Industriegebiet verfrachtet, machte der Staub das Atmen schwer, erzählen sie beim Haldenwein, dessen Etikett einen Bergmann vor Ort ziert.

Am Anfang war eine öde Mondlandschaft, nur Stein und Staub, erinnert sich Reifert. Kaum denkbar, dass dort einmal Wein wachsen würde. Doch der Winzersohn aus dem benachbarten Freyburg stellte sich der großen Herausforderung. Zur Jahrtausendwende, nach Abschluss der Rekultivierung, pflanzte er die ersten Rebstöcke auf dem auf 25 Grad Steigung abgetragenen Hang der Klobikauer Halde. Eine Handvoll Erde genügte, und die Wurzeln krallten sich tief in den Boden. Weitaus schwieriger war die Bewässerung. Reif, im Hauptberuf Wasserbautechniker, wusste Rat. Er perfektionierte die Tröpfchenbewässerung und speist das System aus dem See. „Da bleib kein Rebstock trocken!“ Die ideale Südhanglage begünstigt zudem das Wachstum. Den Rest erledigt die Natur. Tagsüber speichert der See die Sonnenwärme und gibt sie nachts an den Hang wieder ab. Die erste Ernte füllte bereits 300 Flaschen. .

Um die 2000 Weinpaten aus allen Teilen der Republik unterstützen das Engagement. Für 30 Euro jährlich Plegekosten pro Rebstock erhalten sie zwei Flaschen ihres Weins mit Namensetikett. Auch die Patenreben tragen Namensschilder. Bei der Begrünung des Geländes wird der Betrieb durch eine Herde Roter Höhenrinder unterstützt. 25 Tiere der vom Aussterben bedrohten robusten Rasse sind rund um das Jahr auf 30 Hektar in der frischen Luft als Landschaftspfleger unterwegs.

Über den Weinbergkamm führt der Jakobsweg mit der gelben Muschel auf weißen Grund von Leipzig nach Naumburg. Oft kehren Pilger ein. Die Klause in der „Europäischen Begegnungsstätte“ ist ein begehrter Rastplatz auf dem langen Weg ins spanische Santiago de Compostella. Reifert, der auch als Vorbild für den Strukturwandel vom Bergbau zum Weinbau steht, wurde mehrfach ausgezeichnet. Das Deutsche Weinbauinstitut stufte 2008 den „Goldenen Steiger“ als innovativsten Weinberg ein. Mehr als 60 Winzer bewirtschaften 800 Hektar längs der Weinstraße von Bad Sulza (Saale) bis Memleben (Unstrut).

Deutschlands nördlichstes Qualitätsweinanbaugebiet feierte 2018 seinen 25. Geburtstag mit einem großen Kulturfestival.

  • Text: Karl-Hugo Dierichs – Fotos Karl-Heinz Hänel

Winzer Lars Reifert: Bei Bergbau denkt man vielleicht an Staub…

Winzer Lars Reifert © Copyright DWI

…auch an schwere Maschinen oder erdiges Brachland – aber ganz bestimmt nicht an zarte Weinreben. Es sei denn, man ist mein Vater, sagt Sohn Lars Reifert. Der Vater hatte 1997 die Idee zu einem europaweit einmaligen Projekt.

Weinbau am Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel
Weinbau am Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel

Im ehemaligen Braunkohletagebau im Geiseltal wollte er Wein anbauen – und das zu einem Zeitpunkt, als die Halde noch einer Mondlandschaft glich und die ersten Rekultivierungsmaßnahmen gerade erst begannen.

Trotzdem hat er das Potential der außergewöhnlichen Lage schon damals gesehen: Südliche Ausrichtung, 30% Steigung und ein Wald, der die Nordseite vor Kaltluft schützt. Die Wasseroberfläche des neu angelegten Geiseltalsees würde außerdem die Sonne reflektieren, tagsüber Wärme speichern und diese nachts wieder an den Hang abgeben – die ideale Weinlage.

Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel
Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel

Dazu Camping am See und Badestrand…

Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel
Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel

Drei Jahre später hat mein Vater sein Vorhaben dann also in die Tat umgesetzt – mit eigens für das Projekt entwickelten Techniken, Hilfe von Universitäten und vor allem dem Glauben an die Lage am Geiseltalsee. Und mit Erfolg! Denn unser Weinberg beschert uns bis heute exklusive Weine mit einer unverwechselbaren Qualität.

Und wurde 2008 sogar als innovativster Weinberg mit einem Zukunftspreis ausgezeichnet. Heute führe ich den Betrieb mit ca. 3,6 ha Anbaufläche.

Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel
Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel

Und sogar der Jakobsweg führt hier vorbei…

Weinbau am Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel
Weinbau am Geiseltalsee Saale-Unstrut © Copyright Karl-Heinz Hänel

Und wenn ich dann mit einem Glas Wein in unserer Straußwirtschaft sitze und auf den See schaue, ist staubiger Tagebau wirklich das letzte, woran ich denke. Alle Winzergeschichten auf einen Blick

Über Karl-Heinz Hänel

Ich bin freier Reise- und Bild-Journalist, content creator und ein PR-Multiplikator, unterhalte meine Leser mit Product Placement und erzähle Geschichten in Wort und Bild, die ich selbst erlebt habe. Dafür bin ich redaktionell verantwortlich. Alle Angaben gemäß § 5 TMG finden Sie im Impressum und in meiner Vita
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